Autorin der Berliner Lesebühne Surfpoeten. Texte aus dem Leben einer Generation, die zwischen First World Problems und Tinderwahn die Bedeutungslosigkeit des Augenblicks feiert.
Ich war ganz aufgeregt, weil ich mal wieder seit langem ein Date hatte. Und weil ich ja gern schreibe, hatte er sich überlegt, mich zu einer Lesebühne auszuführen.
„Passt ja!“, dachte ich.
Die Veranstaltung schien sehr gut besucht zu sein.
Wir setzten uns und nach 10 Minuten war der Raum brechend voll.
Die Autorin kam auf die Bühne und begann zu lesen.
„Kochlöffel, Treppe, Ofen, Steine, Mutter im Garten, Besteckkasten, Terrassentür…“
So ging es 15 Minuten lang.
Der Hipster neben mir nippte an seinem Rotwein und starrte dann wieder angestrengt in die Luft.
„Hinterhof, Gardine, Eisverkäufer, Tomatensalat…“
Hatte ich hier was nicht mitbekommen?!
Die Leute im Raum sahen alle aus, als würde gerade Goethe persönlich vor ihnen sitzen.
Ich starrte an die Decke und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. Dann ein Lachen. Dann wieder ein Gähnen.
Ich linste zu meinem Date rüber…
„Wo sind wir hier denn rein geraten?!“
„Was meinst du?!“, sagte er und tippte sich ans Kinn.
Dann entdeckte ich in der Ecke des Raumes Konfetti auf dem Boden.
Wie ist es da hin gekommen?! Was für eine Veranstaltung das wohl gewesen sein musste? Hatten die Leute hier also auch mal Spaß?!
„Weiße Socken in Sandalen, Hinterhofgebrüll, Büromöbel…“
Welchen Menschen hasse ich so sehr, dass ich ihm das als eBook schenken würde?
Vielleicht Lea, die hat so eine fruchtbare Lache und verschickt ständig Ketten- SMS.
Aber selbst die hätte das hier nicht verdient.
Die Autorin blickte immer wieder auf und schaute in die Runde. Dann hob sie die Stimme.
„Berggipfel, schneeweiße Blumen, Herdplatte…“
Diese ganze Situation war so skurril, dass ich wieder ein Lachen unterdrücken musste. Leider saßen wir in der 3. Reihe und der Saal war brechend voll. Flucht war unmöglich.
„Muttertod, Kinderweinen, Akkuschrauber…“
Und dann war es endlich vorbei. Die Hipster um uns herum bekamen sich gar nicht mehr ein. Sie klatschten und tranken aus ihren Weingläser.
„Raff ich nicht.“
„Das ist Kunst!“
„Ach so! Gehen wir?“
„Da kommen doch noch 3 andere. Lass uns doch noch bleiben!“
„Dein Ernst?“
„Ist es nicht faszinierend, wie sie die Banalität des Alltags in ein Verhältnis mit dem inneren Konflikt des Erwachsenwerdens stellt?“
Wir blieben also.
Ein folgenschwerer Fehler.
Ich werde jetzt nicht sagen, welche Lesung es war, aber ich kann sagen, dass Zeit relativ ist und dieser Abend der längste meines Lebens war.
Er war so lang, dass draußen die Blätter von den Sträuchern welkten, die Jahreszeiten wechselten sich ab, Bäume verrotteten, Steine zerfielen zu Staub.
Es war die Art von Kulturveranstaltung, zu der man nicht ging, um sich mit Kultur zu umgeben, sondern um mit Kultur gesehen zu werden. Die Leute um mich herum starrten ernst vor sich hin.
Am Ende des Abends stellte ich mir vor, wie ich meinen Wein schwenkend auf die Autorin zuging.
„Du sag mal, was war das denn für ein Scheiß?“
Sie lachte herzlich und sah mich an. „Großartig, wie sie sich alle wahnsinnig intellektuell vorkommen oder?“
„Haste betrunken, das Lexikon aus’m Regal genommen und blind irgendwelche Wörter aufgeschrieben?“
„Das ist die eigentliche Kunst. Ich nenne es „des Kaisers neue Kleider“. Lies denen totalen Scheiß vor und weil keiner zugeben will, dass er es nicht versteht, entsteht diese bizarre Atmosphäre unter den Leuten , die so tun, als könnten sie den tieferen Sinn erkennen. Die Veranstaltung selbst ist das Kunstwerk.“
Dann lachten wir beide kunstkennerisch.
Endlich war das Spektakel vorbei.
Mein Date lehnte sich zu mir rüber.
„Wollen wir vielleicht noch zu mir, Kulturnacht auf Arte, ich hätte auch noch einen guten Bordeaux da?“
„Nee lass mal, heute ist mein Schnitzel- und- Bier- Abend.“